ENERGIEregion Nürnberg e.V.
18.11.2021

Altern im Zeitraffer: Coburger Doktorandin unterzieht Stromkabel Stresstest

Das Forschungszentrum IHEA der Hochschule Coburg und die Rheinische NETZGesellschaft (RNG) wollen so die Lebenserwartung der Kabel prognostizieren - und das Stromnetz sicherer machen.

Ann-Catrin Uhr-Müller vor dem Versuchsaufbau in Köln, der Thema ihrer Doktorarbeit ist. Nachdem der Versuch gestartet ist, kann Ann-Catrin Uhrmüller nur noch in Schutzausrüstung hierherkommen – beim Fototermin kurz vorher ging es noch ohne, weil das Prüffeld noch abgeschaltet war. Foto: RheinEnergie AG

Ein Teil unseres Stromnetzes liegt unter der Erde. Größtenteils sind es Niederspannungs-, aber auch Mittelspannungsleitungen, und manche wurden verlegt, als John F. Kennedy gerade amerikanischer Präsident geworden war und die DDR beteuerte, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten. "Auch schon vor 60 Jahren wurden Papier-Masse-Kabel verwendet", erklärt Elektrotechnik-Ingenieurin Ann-Catrin Uhr-Müller. "Die isolierende Papierschicht ist in Öl getränkt, das ist wartungsaufwändig, schwer und das Abmanteln eine schmierige Angelegenheit. Seit Mitte der 1980er Jahre werden Kunststoffkabel verbaut." Aber die alten Papier-Masse-Kabel sind oft noch in gutem Zustand – die Frage ist: Wie lange? Darüber schreibt Uhr-Müller ihre Doktorarbeit.

Die Rheinische NETZGesellschaft (RNG) in Köln und das Institut für Hochspannungstechnik, Energiesystem- und Anlagendiagnose (IHEA) der Hochschule Coburg haben ein Versuchsfeld in Betrieb genommen, das die Alterung der Kabel künstlich beschleunigt. Eine Art Zeitraffer. So lässt sich die Lebenserwartung der Kabel prognostizieren. "Der Versuchsaufbau ist ca. 20 mal acht Meter groß – das war unglaublich aufwändig", berichtet Uhr-Müller. Knapp vier Monate war sie in Köln, um das Ganze mit aufzubauen. Jetzt können sie und ihr Doktorvater Prof. Dr. Christian Weindl vom Computer an der Hochschule Coburg aus auf das Versuchsfeld zugreifen.

Ein Beitrag zu sicheren Stromnetzen
 

Weindl forscht und lehrt an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik, leitet das IHEA der Hochschule Coburg und ist Experte für Stromnetze – auch für die "Smart Grids", Netze, die Erzeugung, Steuerung und Verbrauch „intelligent“ steuern. Die RNG kontaktierte Weindl, um herauszufinden, in welchem Zustand sich ihr unterirdisches Netz befindet. Daraus entstanden der Versuchsaufbau und Uhr-Müllers Promotionsprojekt, das Weindl gemeinsam mit einem Kollegen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg betreut.

Das Projekt ist auch ein Beitrag zur Energiewende, denn beispielsweise E-Autos oder die Einspeisung von Wind- und Solarstrom verändern die Nutzung der Netze. Die Betreiber brauchen Informationen, um die Lasten möglichst so zu steuern, dass die Kabel lange halten und physikalische und wirtschaftliche Erfordernisse berücksichtigt werden. Asset-Management nennen das die Experten. "Die Alterungs- und Ausfalldaten aus dem Versuch bilden dabei einen wichtigen Baustein, damit unsere Netze auch bei den zukünftig zu erwartenden Belastungen sicher, zuverlässig und kostengünstig betrieben werden können", sagt Weindl.

SMS vom Versuchsstand
 

Um möglichst aussagekräftige Daten zu bekommen, wird in Köln mit verschiedenen Kabeln experimentiert. "Es ist ein Unterschied, ob ein Kabel jahrzehntelang in einem Wohngebiet lag – oder neben einem Stahlwerk", erklärt Uhr-Müller. Im Versuchsfeld liegen die Kabel in einer riesigen, thermisch isolierten Wanne, denn die Temperatur ist für den Zustand der Papier-Masse-Kabel entscheidend. Die Forschenden bilden Lasten des Alltags nach. Sie können dabei Temperaturprofile von zehn Grad, also Bodentemperatur, bis zu maximal 85 Grad festlegen. Ab einer gewissen Stromlast werden die Kabel warm, und dann altert die Isolation schneller. Irgendwann hält sie der Spannung nicht mehr stand, es kommt zu einem "Spannungsdurchschlag" – die Coburger Wissenschaftler werden automatisch per Email informiert und Ann-Catrin Uhr-Müllers Handy vibriert. Dann weiß sie, dass sie neue Daten für ihre Doktorarbeit hat.

 

Quelle: Pressemitteilung Hochschule Coburg

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